Von Wut, Frauen und Gemüse

eingetragen in: Gemüse – Ackerbau,Hofleben,News, eingetragen am: | 0 5 Sep. 2025

Salaternte Salaternte auf dem Bollheimer Acker

Ich stehe auf dem Gemüseacker. Es ist kurz vor sieben in der Früh und die aufgehende Sonne taucht alles in ein sanftes rötliches Licht. Es ist kühl. Der leichte Nebelschleier, welcher über dem Gemüsefeld wabert, verströmt eine gewisse Melancholie des fast vergangenen Sommers. Vielleicht riecht es sogar schon ein bisschen nach Herbst. Ich ernte Salat, der feucht und kühl vom Tau durch meine Hände in die Kisten wandert. Eigentlich eine friedliche Kulisse. Doch irgendwie ist da eine Wut in mir. Sie fühlt sich warm an, irgendwo in meinem Bauch. Sie drückt, wandert in den Hals, strampelt wie ein Baby im Bauch und gibt auf. Woher sie kommt, weiß ich nicht so richtig. Vielleicht ist es auch Hunger.

Vielleicht die Diskussion gestern auf dem Markt, warum unser Gemüse so teuer ist oder die ungläubigen Blicke, der meist älteren Männer, wenn wir drei Frauen den Marktanhänger an den LKW anhängen und hinters Steuer steigen.

Vielleicht das Telefonat mit meinem Bruder und seinen Sorgen, dass die Milchkuhhaltung meinem Vater und ihm, so wie es im Moment aussieht, keine richtige finanzielle Zukunft bieten kann. Wie wir auch hier abends am Tisch in der WG immer wieder diskutieren, was der ökologische Landbau und unser Beruf für eine Perspektive hat.

Mir fällt auf, dass sie Kraft hat diese Wut. Eine Art Energie, die nach außen drängt. Liegt Wut nicht meist ein Wunsch nach Veränderung inne? Etwas so nicht hinnehmen zu wollen, wie es ist? Ich schneide Salat. Kiste für Kiste. 60 Stück werden es heute wohl sein. Wieso stehe ich hier inmitten dieser Fülle und anderswo ist nichts da, Hunger ein Todesurteil? Die Vögel zwitschern.

Warum ist Wut so ein schambehaftetes Gefühl? Eins das wir verurteilen, wenn es nach draußen dringt. Geht nicht jeder Revolution, jeder großen Umwälzung, die Wut voraus? Mir kommen die Bauernaufstände in den Sinn, welche sich dieses Jahr zum 500. Mal jähren. In welchen die Bauern für die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Minderung von Abgaben und politische Mitbestimmung kämpften. Auf ihr Leben am Existenzminimum aufmerksam machen wollten. Die damaligen Forderungen von 1525 sind eine der ersten schriftlichen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Wut also als Antrieb, als Energie aufzubegehren.

Mein Messer ist stumpf. Ich gehe zum Hänger und greife nach dem Schleifstein. Ist Wut nicht auch etwas, was sich durch die Linien meiner Vorfahrinnen zieht? In all ihren Facetten? Standen sie vielleicht auch so auf dem Feld wie ich jetzt, mit einer Wut im Bauch?

Ich habe den Gemüseacker aus freien Stücken gewählt. Die drei Linien Frauen vor mir, weil sie mussten. Die Urgroßmutter, weil ihr Mann im Krieg gefallen war, meine Oma, weil sie keine Ausbildung zur Apothekerin machen durfte, «Arbeit für dich haben wir daheim genug». Und meine Mutter, weil es keinen Sohn gab, der den Hof hätte übernehmen können. Als Anerkennung für den besten Abschluss an der landwirtschaftlichen Meisterschule bekam sie ein Kochbuch überreicht – ich muss fast müde in mich hineinschmunzeln. Welch ein gutes Sinnbild für so vieles…

Die Wut der vielen Frauen vor mir, nicht über ihren eigenen Lebensweg entscheiden zu können, nicht über den eigenen Körper…ob ein Kind darin wächst oder nicht, in so vieler Hinsicht abhängig zu sein. Ihre Wut hat meine Lebensrealität deutlich verändert. Ist Wut nicht eine unbändige Kraft?

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn alle Frauen auf Bollheim plötzlich ihre Arbeit niederlegen würden. Ich schaue mich um. Neben mir in der Petersilie sitzen heute nur Frauen, Frauen, die sich alle aus sich heraus für die Landwirtschaft, den Beruf an Pflanze und Erde, mit den Händen und im Angesicht des Wetters entschieden haben. Junge kluge starke Frauen. Etwas in mir wird sanft, der Knoten löst sich ein wenig.

Als ich mit dem Traktor und vollbeladenen Hänger mit Gärtnerinnen und Gemüse die Hofeinfahrt ein biege, erwische ich mich wie mich ein Gefühl durchströmt…Ist es ein Anflug von Stolz? Ich winke den Hofkindergartenkindern zu und bin froh, dass sie anders als in den meisten Bauernhof-Bilderbüchern, das Bild von einer Frau auf einem Traktor Tag für Tag als Realität erleben.

Hier auf dem Gemüseacker mit dem Wind in den Haaren, von Erde und Schweiß bedeckt fühle ich mich stark. Ich ziehe mit den anderen die 200 Meter langen Kulturschutznetze über den frisch gepflanzten Endiviensalat.  Sieben Frauen in einer Reihe. Wie Fischerinnen ziehen wir das Netz übers Feld. Dieses Bild berührt mich. Ich fühle mich stark, stark und auch müde, manchmal auch verletzlich, doch selten verloren in dieser Reihe zwischen euch. Stark durch meine Wut und Sanftmut, die sich mit der, der Frauen vor mir und um mich und nach mir verbindet.

von Anne-Rahel Bonn

Pflanzkisten heben Anne fährt den Erntetrecker